Vor vier Wochen sind wir angekommen – genauer unsere Körper waren angekommen. So, wie der alte Indianer aus der Eisenbahn stieg und wartete, dass auch seine Seele ankommt, so brauchten auch wir unsere Zeit, um hier zum Leben zu finden. Diese Woche hatten wir das erste Mal das Gefühl „wir leben hier“. Diese Woche hatten wir das erste Mal Gäste zu Besuch. Unser Alltag wird nicht mehr vom Einkaufen der wichtigsten Dinge bestimmt. Ich übe mich, die besten Zeiten und Wege zu finden, um den Stau zu umgehen und Dagmar hat den ersten Friseurtermin gehabt. Langsam kommt der Alltag. Das tut gut.
In Deutschland sprechen wir von einer Strassenverkehrsordnung. Eine solche Ordnung gibt es hier auch, für mich ist sie nicht immer offensichtlich. Zwar haben wir nun einen original Costa Rica Führerschein und nutzen ihn auch um uns als „residential“ (Einheimischer) auszuweisen – das spart Eintrittsgelder –, aber eine Erleuchtung für die Verkehrsregeln hat er nicht gebracht.
Magischerweise wissen alle außer mir, welches eine Einbahnstraße ist. Die Toleranz meinem Unvermögen gegenüber ist groß und so fahre ich schon mal in der einen oder anderen Straße in die falsche Richtung. Mich wundert dann nur, dass die Autos alle in einer Richtung parken.
Das Wort „Verkehrsfluß“ hat hier wenig mit fließen zu tun. Ganz selbstverständlich hält man an, wo auch immer der Beifahrer aussteigen will – auch mitten auf der Autobahn. Besonders freundliche Fahrer machen wie die Busfahrer dann die Warnblinkanlage an und der Verkehr quetscht sich auf die andere Spur. Wenn auf den mehrspurigen Strassen die Fahrbahn sich auf eine Spur verengt, typischerweise ohne Voranzeige, dann verschwindet die rechte Spur. Den Ticos fällt es schwer, beim Einfädeln den Fluß in Gang zu halten, nicht zuletzt auch, weil man zu wenig Hände hat: Eine am Lenkrad, eine am Handy, eine zum Winken, wenn man die Spur wechselt. Das muss dann schon mal der Beifahrer erledigen. Ein Vorteil dieser Verfahrensweise ist es, dass fliegende Händler besser verkaufen können – vom kalten Getränk bis zur leuchtenden Sicherheitsweste. Diese werden gerne von Radfahrern gekauft, alldieweil ein Fahrrad hier ja keine Beleuchtung hat. Für das schnellere Vorankommen wird das Motorrad genutzt – das bringt schon mal 50% Zeitersparnis – allerdings mit hohem Risiko. Ich habe bereits mehrere unschöne Unfälle mit Motorrädern gesehen.
Es klemmt an allen Ecken und Enden. Die Polizei versucht, die Engpässe irgendwie zu managen, Kollegen meinen allerdings auch, sie verursacht die Probleme. So werden Spuren in die andere Fahrtrichtung umdefiniert, Einfahrten um eine Spur erweitert und natürlich kommt der Verkehrspolizist zum Einsatz und regelt mit der Pfeife den Verkehr.
Etwas überraschender ist ein anderes Thema. Bei unseren vielen Einkäufen für die Wohnung wird überall erklärt, wie lange Garantie gewährt wird, ein Monat ist das gesetzliche Minimum. Nun sind wir einen Monat hier und wissen warum: Das Küchenmesser ist beim Kartoffelschälen abgebrochen, der Korkenzieher zerteilt sich und bleibt im Korken stecken, die Schere verliert eine Schneide und die Edelstahl Thermoskanne rostet gemeinsam mit dem großen Küchenmesser. Da ich meine Sommerschuhe in Degerloch stehen ließ, haben wir hier neue gesucht – und nach zwei Wochen gab es noch mal Neue – die Nähte hatten sich aufgelöst. Wir lernen mit allem gelassen umzugehen, das ist Teil der Lebensqualität. So verstehen wir nun auch auf Anhieb sofort „no hay“ – „gibt’s nicht“. Seit vier Wochen üben wir dies regelmäßig, wenn wir Waschmittel für die Spülmaschine suchen. Niemand vermisst offensichtlich das Spülmittel, man hat eben seine Maid.
Ein Ausflug führt uns nach Süden auf der Panamericana. Diese Straße von Alaska nach Feuerland führt mitten durch San Jose, sie hat ihren höchsten Punkt in Costa Rica, am Cerro de la Muerte in 3 541 m Höhe. Ströme von LKWs quälen sich über den Pass. Die Wolken reissen auf und ein fantastisches Blau im Kontrast zu den Wolken strahlt uns an.
Von hier stürzt sich die Straße in wenigen Kilometern wieder auf Meeresniveau, nach San Isidro, von 16°C auf 33°C. Wir fahren durch Wälder, die in Nebelschwaden verschwinden.
An der Küste entlang säumen dann Palmenwälder die Straße, zum Teil dunkel wie im Schwarzwald. Hier wird Palmöl gewonnen – ob es auch im E10 in Deutschland landet?
Nach langer Fahrt kommen wir doch noch an den Pazifik. Die Surfer an der Playa Hermosa nutzen die Stunden vor dem Sonnenuntergang, da sind die Wellen am besten. Wir genießen den Abend mit gegrilltem Fisch, Blick aufs Meer und einer lauen Brise.
Hallo Ihr zwei,
das erinnert uns sehr an die zwei Monate Peru vor vielen, vielen Jahren. Ein paar kleine redaktionelle Änderungen …. und dann liest sich das wie Teile unsere Reisetagebuches. Sólo Dios conoce mi camino. Der Weg ist das Ziel, und nicht unterkriegen lassen. Wir hatten dann noch zusätzlich mit der geringen Akzeptanz für die Gringos zu kämpfen („No hay arroz mas caldo!“, obwohl am Nachbartisch eine dampfende Reisschale aufgetragen wurde. Davor wenigstens scheint ihr ja verschont zu sein.) Jedenfalls fiebern wir schon jetzt Eurem nächsten Bericht entgegen … und der Besuch ist ja geplant, Termine folgen!
Con muchos saludos,
Wolfgang y Baerbel
Liebes Schwesterherz,
lieber Gerd,
dankeschön für diesen wieder sehr lebendigen Bericht. Er ist so super geschrieben, dass man sich direkt hinein versetzen kann! 🙂
Paßt aber bitte bei dieser „Straßenverkehrsordnung“ gut auf Euch auf. Und was die dort gekauften Sachen angeht, es geht eben nichts über deutsche Wertarbeit!! Sollen wir die Messer „wetzen“ und welche schicken?? 😉
Wir hoffen sehr, dass es Euch sonst gut geht und es freut uns von Herzen, nun zu wissen, dass ihr zwei Lieben angekommen seid.
Aus dem sonnigen und sehr trockenem Norden die besten Grüße und dicke Umarmungen.
Bussi, bis bald
Eure Greta und Fritzi <3 <3
wie schön, so viel u gutes von Euch zu hören. weiter so, “ denn die daheimgebliebnen hören gern, vom leben dort in weiter fern“. die bilder sind sehr sehr schön!
alles liebe conny u petra